Böll: Banquet Speech

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Böll: Banquet Speech

Böll’s speech at the Nobel Banquet in Stockholm, 10 December 1972 (in German)

Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren,

Anlässlich eines Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland hat Seine Majestät der König von Schweden einen gelehrten Blick in die Schichten der Vergänglichkeit getan, aus der wir kommen und auf der wir wohnen. Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen auch gelegentlich einen Blick in diese Schichten getan. Jungfräulich oder gar unschuldig ist dieser Boden nicht, und nie ist er zur Ruhe gekommen. Das begehrte Land am Rhein, von Begehrlichen bewohnt, hat zahlreiche Herrscher gehabt, entsprechend viele Kriegen gesehen. Koloniale, nationale, regionale, lokale, konfessionelle Weltkriege. Progrome hat es gesehen, Vertreibung und immer kamen Vertriebene anderswoher und wurden andere anderswohin vertrieben. Und dass man dort deutsch sprach, war zu selbstverständlich, als dass mans nach innen oder aussen hätte demonstrieren müssen. Das taten andere, denen das weiche d nicht geniigte, die nach einem harten t begehrten. Teutsche.

Gewalt, Zerstörung, Schmerz, Missverständnisse liegen auf dem Weg, den einer daherkommt, aus den Schichten vergangener Vergänglichkeit in eine vergängliche Gegenwart. Und es schufen Scherben, Geröll und Trümmer, schufen Ost- und Westverschiebungen nicht, was nach so viel, viel zu viel Geschichte zu erwarten gewesen wäre: Gelassenheit; wohl, weil man uns nie liess; den einen zu westlich, den anderen nicht westlich genug; den einen zu weltlich, den anderen nicht weltlich genug. Immer noch herrscht Misstrauen unter den Demonstrativ-Teutschen, als wäre die Kombination westlich und deutsch doch nur eine Täuschung der inzwischen unheilig gewordenen Nation. Wo doch gewiss sein müsste: wenn dieses Land je so etwas wie ein Herz gehabt haben sollte, lags da, wo der Rhein fliesst. Es war ein weiter Weg der deutschen Geschichte in die Bundesrepublik Deutschland.

Als Junge hörte auch ich in der Schule den sportlichen Spruch, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei; gleichzeitig hörte ich in Schule und Kirche, dass die Friedfertigen, die Sanftmiitigen, die Gewaltlosen also, das Land der Verheissung besitzen würden. Bis an sein Lebensende wohl wird einer den morderischen Widerspruch nicht los, der den einen den Himmel und die Erde, den anderen nur den Himmel verheißt, und das in einer Landschaft, in der auch Kirche Herrschaft begehrte, erlangte und ausübte, bis auf den heutigen Tag.

Der Weg hierhin war ein weiter Weg für mich, der ich wie viele Millionen aus dem Krieg heimkehrte und nicht viel mehr besaß als die Hände in der Tasche, unterschieden von den anderen nur durch die Leidenschaft, schreiben und wieder schreiben zu wollen. Das Schreiben hat mich hierhergebracht. Gestatten Sie mir, die Tatsache, daß ich hier stehe, für nicht so ganz wahr zu halten, wenn ich zurückblicke auf den jungen Mann, der da nach langer Vertreibung und langem Umhergetriebensein in eine vertriebene Heimat zurückkehrte; nicht nur dem Tod, auch der Todessehnsucht entronnen; befreit, überlebend; Frieden—ich bin 1917 geboren—nur ein Wort, weder Gegenstand der Erinnerung noch Zustand; Republik kein Fremdwort, nur zerbrochene Erinnerung. Ich müßte hier sehr vielen danken, ausländischen Autoren, die zu Befreiern wurden, das Befremdende und das Fremde aus der Eingeschlossenheit befreiten, das sich selbst um seiner Materialität willen in die Eigenheit zuräckverwies. Der Rest war Eroberung der Sprache in dieser Zurückverweisung an das Material, an diese Hand voll Staub, die vor der Tür zu liegen schien und doch so schwer zu greifen und zu begreifen war. Danken möchte ich auch für viel Ermutigung durch deutsche Freunde und deutsche Kritiker, danken auch fur viele Versuche der Ent mutigung, denn manches geschicht ohne Krieg, nichts aber, so scheint mir, ohne Widerstand.

Diese siebenundzwanzig Jahre waren ein langer Marsch, nicht nur für den Autor, auch für den Staatsbürger durch einen dichten Wald von Zeigefingern, die aus der vertrackten Dimension der Eigentlichkeit stammten, innerhalb derer verlorene Kriege zu eigentlich gewonnen werden. Gar mancher Zeigefinger war scharf geladen und hatte seinen Druckpunkt an und in sich selbst.

Mit Bangen denke ich an meine deutschen Vorgänger hier, die innerhalb dieser verfluchten Dimension Eigentlichkeit keine Deutschen mehr sein sollten. Nelly Sachs, von Selma Lagerlöf gerettet, nur knapp dem Tod entronnen. Thomas Mann, vertrieben und ausgebürgert. Hermann Hesse, aus der Eigentlichkeit ausgewandert, schon lange kein deutscher Staatsbürger mehr, als er hier geehrt wurde. Fünf Jahre vor meiner Geburt, vor sechzig Jahren, stand hier der letzte deutsche Preisträger fur Literatur, der in Deutschland starb, Gerhart Hauptmann. Er hatte seine letzten Lebensjahre in einer Version Deutschland verlebt, in die er wohl trotz einiger Mißverständlichkeiten nicht hineingehörte. Ich bin weder ein Eigentlicher noch eigentlich keiner, ich bin ein Deutscher, mein einzig gültiger Ausweis, den mir niemand auszustellen oder zu verlängern braucht, ist die Sprache, in der ich schreibe. Als solcher, als Deutscher, freue ich mich über die große Ehre. Ich danke der Schwedischen Akademie und dem Land Schweden für diese Ehre, die wohl nicht nur mir gilt, auch der Sprache, in der ich mich ausdrücke und dem Land, dessen Bürger ich bin.

[© The Nobel Foundation, 1972. Heinrich Böll is the sole author of his speech.]

Translation by James Hardin and Philip B. Dematteis:

Mr. Prime Minister, Ladies and Gentlemen,

On the occasion of a visit to the Federal Republic of Germany His Majesty the King of Sweden took a scholarly look at the layers of transitoriness out of which we come and on which we live. Perhaps one or the other of you have also occasionally looked at these layers. This soil is not chaste or completely innocent and has never enjoyed peace and quiet. The coveted land along the Rhine, inhabited by covetous people, has had numerous rulers and, accordingly, has seen many wars. Colonial, national, regional, local, religious world wars. It has seen pogroms, banishment, and always the banished came from some other place and were banished elsewhere. And that German was spoken there was too obvious for it to be necessary to demonstrate that fact. Others did that, to whom the soft d [Deutsche] was not satisfactory, who desired a hard t. Teutsche[Teutons].

Violence, destruction, suffering, misunderstandings lie on the path on which one comes from the layers of past transitoriness into a transitory present. And it produced shards, rubble, and ruins but did not create shifts from East to West, which, after so much—far too much—history, would have been expected: composure; because we are never left alone; the one too Western, the other not Western enough; the one too worldly, the other not worldly enough. Still, mistrust prevails among the Teutonic types, as if the combination of western and German were only an illusion of the nation that has in the meantime become unholy. Yet, one thing is certain: if this land ever had something like a heart, it lay there, where the Rhine flows. It was a long way from German history to the Federal Republic of Germany.

As a boy I heard in school the sporting saying that war is the father of all things; simultaneously I heard in school and church that the peacemakers—that is, the meek, the powerless—would possess the Promised Land. To the very end of one’s days, one cannot rid oneself of the murderous conclusion that, on the one hand, promises one heaven and earth and, on the other, only heaven; and this in a region in which the Church also desired power, achieved it, and exercised it, right up to the present day.

The road here was a long one for me, who like many millions returned home from the war with not much more than their hands in their pockets, different from the others only by the passion to want to write and again to write. Writing brought me here. Allow me to consider the fact that I stand here as not entirely true—when I look back at the young man who, after long banishment and long wandering, came back to a homeland driven apart; having escaped not only death but also the longing for death; liberated, surviving; peace—I was born in 1917—only a word, neither object of memory nor condition; republic no foreign word, only shattered memory. I would here have to thank very many foreign authors who became liberators, who freed that which had been considered strange and foreign from confinement, that for the sake of its materiality pointed back to one’s own world. The rest was conquest of the language in this referring back to the material, to this hand full of dust, that seemed to lie before the door and yet was so hard to grasp and understand. I would also thank German friends and German critics for much encouragement; thanks also for many attempts at discouragement, because many a thing happens without war—not, however, it seems to me, without opposition.

These twenty-seven years were a long march for me as author and citizen through a dense forest of accusing fingers that pointed at me from that tortuous dimension of essential thinking within which lost wars are all too essentially won after all. Many of these fingers were fully loaded, ready to fire at random.

With trepidation I think about my German predecessors here, who inside this accursed dimension of reality were not supposed to be Germans. Nelly Sachs, rescued by Selma Lagerlof, only narrowly escaped death. Thomas Mann, expelled and expatriated. Hermann Hesse, having emigrated from reality, already for a long time no longer a German citizen when he was honored here. Five years before I was born, sixty years ago, the last German prizewinner in literature who died in Germany stood here: Gerhart Hauptmann. He had spent the last years of his life in a version of Germany in which, in spite of sundry misunderstandings, he did not belong. I am neither a real one nor really none, I am a German; my only valid passport, which no one needs to issue or renew for me, is the language in which I write. As such, as a German, I rejoice at this great honor. I thank the Swedish Academy and the country of Sweden for this honor that, to be sure, applies not only to me but also to the language in which I express myself and the country whose citizen I am.

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